Seit dem Altertum waren blutige Ausleitungsverfahren bei allen Völkern bekannt, dazu gehörte auch die Blutegeltherapie. Älteste schriftliche Überlieferungen aus Ägypten sind über 3.000 Jahre alt.
Im 19. Jahrhundert wurden die Blutegel in derart übertriebenem Maße therapeutisch eingesetzt [z.T. 80-100 Blutegel pro Therapiesitzung und pro Patient], dass die Egel auszusterben und die Patienten an Blutarmut zu versterben drohten. Danach hatte die Blutegeltherapie lange Zeit ausgedient und erst einmal keinen sehr Ruf mehr.
"Glücklich ist der Patient, der nur sein Geld verliert und nicht sein Leben! .." [Audin-Rouvière, 1827]
Erst mit Bernhard Aschner, einem Wiener Arzt, und dann beginnend in der Transplantationsmedizin [Haut, Nasen, Ohren] gewann die Blutegeltherapie wieder größere Bedeutung. Aber auch in anderen Bereichen haben sich die Egel einen Stellenwert in der alternativen und komplementären Medizin zurück erobert:
Nervenschädigung nach Gürtelrose [Postzoster-Neuralgie]
Kopfschmerzen durch Bluthochdruck
Eitrige Entzündung [Abzess, Furunkel]
nach Tierbiss
Narbenbehandlung
gynäkologische Erkrankungen [Fernwirkung]
sowie bei Durchblutungsstörungen nach plastischer und rekonstruktiver Chirurgie
Wirkweise der Blutegel-Therapie? Der Blutegel hat im Laufe seiner Evolution - von immerhin über 450 Millionen Jahren - ein Konzept entwickelt, sich mithilfe von Blutnahrungen ein Überleben zu sichern und gleichzeitig ein potentes Arzneimittel für Mensch und Tier geschaffen. Über ganz speziell konstruierte Zähne [240 insgesamt] gibt der Egel während des Beiß- und Saugvorgangs laufend einen Cocktail fein aufeinander abgestimmter Substanzen in die Bisswunde ab. Die komplexen Wirkmechanismen sind: schmerzlindernd, gerinnungshemmend und damit (durch)blutungsfördernd, lymphflusssteigernd, antithrombotisch und entzündungshemmend.
Ist diese Therapie für jeden geeignet? Es gibt eine Reihe von Kontraindikationen, bei denen eine Blutegel-Therapie nicht durchgeführt werden kann. Dazu zählen - neben anderen - bekannte Überreaktionen gegen Tierbisse/-stiche, Hämophilie [Bluterkrankheit] bzw. blutverdünnende Maßnahmen [Marcumar etc.], schwere Blutarmut [Anämien], eine Schwangerschaft, akute Infektionen und schwerwiegende Organ- oder Systemerkrankungen. Eine Blutegelbehandlung bedarf der guten Vorbereitung und Durchführung und deshalb erfolgt vor jeder Behandlung ein Beratungsgespräch, in welchem wir über mögliche Nebenwirkungen [u.a. Schwellung, Juckreiz, stärkere Nachblutungen etc.] reden, Ihre persönlichen Indikationen und Kontraindikationen besprechen und einen optimalen Behandlungsablauf für Sie planen.
Wird die Behandlung weh tun? Allgemein wird die Behandlung als "nicht schmerzhaft" beschrieben. Was Sie in den ersten Minuten spüren werden, ist eine Art pieksen oder brennen, ähnlich wie bei einem Insektenstich. Sobald die Wirkung der schmerzlindernden Substanzen einsetzt [wenige Minuten], werden Sie wahrscheinlich nur noch das pulsierende Saugen des Egels fühlen. Aber tatsächlich ist das Erleben sehr individuell und die Beschreibungen fallen z.T. sehr unterschiedlich aus.
Blutegel sind sehr sensibel und haben sehr gute Antennen für Stress und Unruhe. Bei Gewitter, Lärm, starker innerer Unruhe und intensiven Gerüchen [Nikotin, Parfüm, Alkohol etc.] beißen die Egel auch einmal partout nicht bzw. nur äußerst zögerlich. Auch diese besonderen Bedingungen besprechen wir noch einmal intensiv im Vorgespräch, sodass es am Ende zu einer entspannten, stressfreien Blutegel-Behandlung kommen kann.
Zum Ablauf der Behandlung: Wenn kein Grund gegen eine Behandlung mit Blutegeln spricht und Sie der Therapie - auch schriftlich - zugestimmt haben, kommen Sie zum vereinbarten Termin in die Praxis. [Dem Behandlungstag sollten einige Tage der Ruhe/Ruhigstellung folgen, insbesondere bei Behandlungen an [unteren] Extremitäten [Beine, Arme]. Je nach Ort der Behandlung bzw. je nach Indikation werden nach und nach 1 bis 6 Blutegel angesetzt. Der Saugvorgang dauert i.d.R. zwischen 30 und 120 Minuten, abhängig davon, wie gut oder schlecht das zu behandelnde Gewebe durchblutet ist. Wenn die Tiere satt sind, lassen sie von alleine los und fallen ab. Diesen Prozess warten wir ab, denn vorzeitiges Ablösen der Blutegel würde die Infektionsgefahr drastisch erhöhen. Geduld und Ruhe sind somit das Beste, was Sie an diesem Tag mit in die Praxis bringen können. - Nach der Behandlung werden die Wunden versorgt und am Folgetag kommen Sie zur Nachsorge und zum Verbandswechsels noch einmal in die Praxis.
Wie oft "muss" die Behandlung durchgeführt werden? Es ist nicht zwingend erforderlich oder gar Standard, die Behandlung mehrfach durchführen zu lassen. Die Wiederholung dieser gering-invasiven und wenig schmerzhaften Behandlung im Abstand von mehreren Wochen [4-6 Wochen] birgt allerdings die Möglichkeit zur [weiteren] Verbesserung der Symptomatik. Oft bringt eine einzige Behandlung aber schon den gewünschten Erfolg, z.B. die Druck-Entlastung beim Bluterguss nach Fingerquetschung.